Bayreuth ist, wenn man so will, eine Art Zurückreiter, weil manche Sichtweisen offenbar ausgereizt sind, weil es immer ein Pendel in der Aufführungspraxis gibt, weil das von manchen gehasste Regietheater (was für ein Unwort, weil doch jedes Theater Regietheater ist) neuerdings eine ästhetisierende Antithese zu verlangen scheint. Dabei sollte es doch immer nur um die Synthese gehen, um Qualität, um zeitgemäße Interpretationen, um Relevanz. Die Neuproduktion von Richard Wagners “Tristan und Isolde” ist wohl ein Beleg für eine Abkehr von der selbst auferlegten, sich ständig erneuernden Moderne. Aber derart heftig hätte die Notbremsung wirklich nicht ausfallen müssen. Mit solchen Inszenierungen wie jener von Thorleifur Örn Arnarsson geht man szenisch Richtung Irrelevanz.
Der isländische Regisseur stellt den wahrscheinlich langweiligsten ersten Aufzug der Bayreuther “Tristan”-Geschichte auf die Bühne. Das Schiff wird nur durch ein paar Seile angedeutet, Isolde ist gefangen in ihrem überdimensionalen, wie ein Kreis um sie ausgebreiteten Brautkleid. Weil ihr wohl auch fad ist, hat sie dieses vollgekritzelt wie ein Tagebuch. Die Ehe, ein Gefängnis?, fällt einem da sofort ein, weil sie sich nicht herausbewegen kann. Und “Störe meine Kreise nicht” von Archimedes – wehe, einer kommt ihr zu nahe. Nur Tristan wird das später dürfen.
Isolde bewegt sich den ersten Akt hindurch so gut wie gar nicht, das erinnert an Luciano Pavarotti, der in seinen Verträgen einen Passus gehabt haben soll, wonach er pro Auftritt maximal acht Schritt gehen muss.
Steh- und Sitztheater also. Tristan und sein Freund Kurwenal gehen weit hinten auf der Bühne bedeutungsvoll herum. Und Brangäne ist schwarz auf der schwarzen Bühne.
So statisch war nicht einmal einst in Bayreuth der besonders bewegungslose “Tristan” des Temporeduzierers Christoph Marthaler.
Im zweiten Aufzug, wenn eigentlich Ruhe und ein Fokus auf der Liebespaar herrschen sollte, zeigt Arnarsson auf der Bühne von Vytautas Narbutas des Titelhelden Devotionalienkabinett auf dem Schiff. Tristan hat – stimmt ja laut Vorgeschichte auch – Isolde schon lange geliebt und offenbar alles gesammelt, was mit ihr zu tun hat. Tristan hat auch das Schwert, mit dem er einst Isoldes Verlobten Morold erschlagen hatte, aufbewahrt, Isolde erkennt es an dem fehlenden Zacken, der einst im Kopf von Morold war. Damals hatte sich Tristan als (verletzter) Tantris zu Isolde zur Heilung begeben, der Beginn der Liebesgeschichte. Nun durchleben die beiden diese Situation quasi noch einmal.
Ist total verwirrend alles, aber es soll offenbar belegen, dass die beiden keinen Liebestrank brauchen. Denn diesen schlägt Isolde Tristan aus der Hand, als er ihn trinken will. Damit es kompliziert bleibt: Tristan wird im zweiten Aufzug auch nicht von Melot im Kampf verletzt, sondern trinkt ein Schluckerl vom Todestrank.
Die voll gerammelte Bühne sieht jedenfalls ein bissl aus wie in “Alice im Wonderland”, in “Poor Things” oder sogar wie bei “Pippi Langstrumpf” – ein Seeräuberkeller mit lauter bei Seefahrten gestohlenen Dingen.
Im dritten Aufzug wird das Schiff völlig dekonstruiert, und Tristan leidet auf seinem Berg (anstelle einer Burg) alter Spielsachen.
Alles unwichtig angesichts der Übermacht der Liebe, will der Regisseur wohl sagen. Und: Diese führt unweigerlich in den Tod. Deshalb ist es auch durchgehend viel zu dunkel auf der Bühne. Düsterkeit heißt nicht zwingend Unsichtbarkeit.
Immerhin passen die Optik und die statische Interpretation der von Wagner als Handlung bezeichneten Oper (muss man in diesem Fall wirklich dazusagen, weil sich kaum etwas tut) zum Dirigat von Semyon Bychkov. Dieser erweist sich wieder als Meister des Klangs und der Farbenpracht. Diese gehen aber nicht einher mit einer hörbaren Dramatik und differenzierten Tempi. Bychkov schleppt so sehr, dass man sich manchmal fragt, ob er nicht eingeschlafen ist (weiß man ja nicht in Bayreuth, wo der Orchestergraben unter der Muschel ist) und das erstklassige Orchester nicht selber spielt.
Er ist auch oft viel zu laut, was angesichts einer sehr lyrischen Isolde wie Camilla Nylund für diese sehr problematisch wird. Nylund singt diese Partie besonders schön, zart, fein phrasierend, beim Liebestod extrem berührend. Über die Orchesterwogen kommt sie aber nicht immer. Und sie passt, wenn das Liebespaar auch ein stimmliches sein sollte, nicht wirklich zu Andreas Schager, der seinen Tristan mit so viel Power ausstattet, dass man glaubt, er würde gleich weiter zu den Olympischen Spielen und zu einem Kraftbewerb reisen.
Im zweiten Aufzug, beim großen Liebesduett, fehlt es an Differenzierung, an zarten Tönen besonders. Im dritten Aufzug zeigt er, warum er trotz einer auf Kraft statt auf Gestaltung ausgerichteten Performance der wahrscheinlich beste Tristan unserer Zeit ist (wenn man Jonas Kaufmann nicht berücksichtigt, der diese Partie in München so brillant gesungen hatte). Bis zu Tristans letztem Atemzug derart durchzuhalten, das macht Schager niemand nach.
Ein weiterer Österreicher, Günther Groissböck, ist König Marke – er müht sich mit dieser sehr tief liegenden Partie einigermaßen ab. Eine profunde Gestaltung ist aber dennoch zu hören.
Olafur Sigurdarson, der Kurwenal, ist sonst in Bayreuth der Alberich im “Ring”, und das hört man auch, weshalb man sich einen jugendlicheren Bariton mit schönerem Timbre für diese Rolle wünscht.
Birger Radde ist ein guter Melot, Christa Mayer eine stark forcierende Brangäne, deren Wortdeutlichkeit diesmal nicht besonders ausgeprägt ist.
Das Publikum differenzierte wissend zwischen den Sängern und feierte Nylund und Schager am meisten. Auch für Bychov gab es Applaus.
Im kommenden Jahr werden “Die Meistersinger von Nürnberg” neu inszeniert – von Matthias Davids, dem künstlerischen Leiter der Sparte Musical am Landestheater Linz, einem ausgewiesenen Könner seines Faches. Ob das wohl auch ins Alt-Bayreuth-Konzept passt, wird sich weisen.
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