„Tannhäuser“ in Bayreuth: Eine der besten Opernproduktionen



Bei Kratzer geht es nicht um Sexualität versus Religiosität, sondern um schräges vagabundierendes Künstlerleben versus Spießertum. Dafür stellt er der Venus eine Dragqueen (grandios: Le Gateau Chocolat) und einen Kleinwüchsigen (exzellent: Manni Lauterbach als Oskar) zur Seite, die mit ihrem alten klapprigen Citroën nach Bayreuth fahren, das Festspielhaus entern, das Türschild am Dirigentenzimmer gendergerecht ändern und in der ersten Pause sogar eine große Show beim Teich am Fuße des Grünen Hügels abziehen.

Extrem berührend ist schon die Ouvertüre, bei der die Truppe einen Obstler auf den verstorbenen Tenor Stephen Gould trinkt. Er hatte im Jahr 2019 in der Premiere gesungen. Als sein Foto eingeblendet wird, gibt es während der Musik Zwischenapplaus – Ihr Rezensent kann sich nicht erinnern, so etwas je in Bayreuth gehört zu haben.

Nicht nur Tannhäuser verfällt diesen schrägen Vögeln, auch Elisabeth geht mit Wolfram erst ins Bett, als er sich die Perücke von Tannhäuser aufsetzt.

Es gibt aber nicht nur Witz und schrille Ideen, sondern eine erstklassige Personenführung und eine tiefgründige Analyse der Büßergeschichte. Die Aktualisierungen seit der ersten Aufführung vor fünf Jahren mit Spitzen gegen die Politik und gegen den Wagner-Fanatismus machen diesen Abend noch besser.

Mehr Frauen am Pult

„Dirigent*innen“ am Türschild passt diesmal wirklich, weil in Bayreuth in diesem Jahr erstmals mehr Frauen als Männer am Pult stehen. Den Anfang machte Nathalie Strutzmann, unter deren Leitung „Tannhäuser“ farbenprächtig und dramatisch, von Akt zu Akt besser klingt.

Auch Klaus Florian Vogt steigert sich nach mittelmäßigem Beginn und singt die Rom-Erzählung im Finale fast schön. Günther Groissböck ist ein famoser Landgraf Hermann, Markus Eiche ein Wolfram, der das Lied an den Abendstern sensibel (und von Strutzmann und dem Toporchester traumhaft begleitet) singt.

Beide Damen sind fabelhaft: Elisabeth Teige als dramatische, aber durchwegs glaubhafte und mitreißende Elisabeth sowie Irene Roberts als kraftvolle Venus, die auch darstellerisch Großes leistet. Siyabonga Maqungo als Walther von der Vogelweide und Olafur Sigurdarson als Biterolf machen ihre Sache ebenfalls sehr gut.

Der Pilgerchor, der diesmal verarmt Müll sammelt, ist mächtig und toll. Und wenn Elisabeth am Ende tot zwischen Tannhäuser und Wolfram liegt, erlebt man den seltenen Fall, dass Oper die ganze Gefühlskette bedient.



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