Warum die Welt Olympische Spiele noch braucht


Sportfest oder Kommerz, Politbühne oder simples Miteinander: Olympische Spiele erreichen viele Spektren. Und bei jedem Bewerb, auch jetzt in Paris, platzen Träume oder erfüllen sich Wünsche. Aber wer bezahlt die Rechnung? Vor allem: wofür?

Steht Olympia vor der Tür, erlebt die Welt im Vorfeld ein sich stets wiederholendes Geplänkel. Im jeweiligen Austragungsort türmen sich bis zur Eröffnungsfeier Skepsis und berechtigte Fragen zu Verkehrsproblemen, Kostenexplosionen und Sicherheitsängsten. Parallel dazu blühen Medaillenträume der Sportler, für die diese Spiele die Erfüllung sind. Im Hintergrund dominiert das Geschäft, mit dem das Internationale Olympische Komitee – ein in der Schweiz notierter NGO-Verein mit über 200 Mitgliedern – dank lukrativer TV- und Sponsorenverträge Milliarden verdient.

Sind die Spiele einmal angelaufen, verpuffen Vorbehalte weltrekordverdächtig schnell im Scheinwerferlicht. Dann applaudieren die Landsleute, preisen ihre Könner in sonst negierten „Randsportarten“. Touristen staunen über Arenen, Organisation, Event. Die zuvor verteufelte Welt ist plötzlich zwei Wochen lang heil, solang eben dieses olympische Feuer tatsächlich brennt.

Ist das größte Sportfestival der Welt aber gelaufen, zieht der ganze Tross mit Prunk und Gedöns umgehend ab. Zurück blickt keiner, man erinnert sich, vorzugsweise in Österreich für immer, an seine Sieger. Vor Ort wird allerdings ausnahmslos eine bitter-teure Rechnung fällig. Dann bleiben Fragen unbeantwortet zurück, ob man denn als Stadt und Land ein derart monströses, zwei Wochen alles in Beschlag nehmendes Sportfest überhaupt gebraucht hat.

Auch in Paris ist diese Konstellation allgegenwärtig. Garniert mit Bedenken zu Nachhaltigkeit, Sauberkeit der Seine oder quälenden Aspekten im Hinblick auf Terror oder Kriege, dem Streit, ob Russen und Belarussen – als neutrale Starter ohne Flagge, Hymne, Team – überhaupt mitmachen dürfen. Corona spielt nur eine Nebenrolle bei der Rückkehr der Sommerspiele nach Europa (zuletzt 2012 in London). Auch Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, kommt diese Bühne gelegen: Wahlwirren, rechtspopulistische Sprinter und Alltagsgeheul zu Arbeitslosigkeit oder Rassismus verstummen. Da das gar so gut funktionierte und das IOC mit seinem zweiten „Franchiseprodukt“, den Winterspielen, große Probleme hat, ob Klima, Stellenwert und Kosten, lag es schon auf der Hand: 2030 werden in Frankreichs Alpen die nächsten Olympioniken gekrönt.

Während man in Österreich tunlichst nicht erwägen sollte, jemals wieder Olympische Spiele auszutragen – da müsste man ja das Happel-Mahnmal womöglich abreißen und sich einer echten Sport- oder Bewegungskultur besinnen –, ist dieses Schauspiel in echten Sportnationen, Diktaturen oder in mit Geld um sich werfenden Wüstenstaaten wunderbar aufgehoben. Die Kostenfrage stellt sich nicht, Paris stemmt einen etwa knapp sechs Milliarden Euro großen Etat. Der Sport bleibt Mittel zum Zweck (Stichwort: Sportswashing), und moderne Arenen verleihen jeder Skyline neues Antlitz.

Ob Irrsinn oder tolerierte Naivität auf den Schultern des Sports, Veranstaltungen dieser Größenordnung passen jedoch – trotz all der an der Seine spürbaren Euphorie – nicht mehr in jedes Weltbild. Sie zu erleben geht aber doch fast jedem unter die Haut. Weil das Miteinander, vorher im gemeinsamen „Gemotschker“, währenddessen im kollektiven Jubel und danach im finanziellen Lagerkoller nebst Kommerz oder Dopingbetrug, weiterhin wunderbar funktioniert. Brot und Spiele, dieses Konzept klappt doch schon seit Ewigkeiten.

Schneller, höher, weiter: Olympias Maschine ist schlicht nicht aufzuhalten. Sie, ihre Betreiber und Nutznießer kritisch infrage zu stellen und auf einen grundsätzlichen Wandel zu hoffen ist allerdings Gold wert.

E-Mails an: markku.datler@diepresse.com

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